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Deutschland ohne Gas?

Der Krieg in der Ukraine hat Deutschland mit leeren Gasspeichern erwischt. Das Land muss seine Energiepolitik über Nacht ändern, besonders wenn der Kreml das Ventil zudreht. Pläne gibt es viele, aber nur der Kauf von arabischem Gas hilft schnell.

Der größte Gasspeicher Westeuropas liegt im deutschen Bundesland Niedersachsen in zwei Kilometern Tiefe. Er heißt Reden und ist so groß wie 910 Fußballfelder. Es kann den einjährigen Gasverbrauch für etwa zwei Millionen Haushalte decken.

Reden spielt eine Schlüsselrolle für Deutschland und Europa, wenn es um die Versorgungssicherheit mit Gas geht. Das Unternehmen Astora , das den Speicher verwaltet, ist eine Tochter des russischen Energieriesen  Gazprom  , der mehr als ein Drittel aller deutschen Gasspeicher kontrolliert.

Alle sind im Moment fast leer. Nur drei Prozent der Kapazität sind in Reden belegt. Bundeswirtschaftsminister Robert Habek geht davon aus, dass die Lager „systematisch geleert“ wurden, um die Gaspreise strategisch anzuheben und Druck zu erzeugen.

Gas als politische Waffe

Etwa 55 % des in Deutschland verbrauchten Gases stammt aus Russland. Russland erhält auch 50 Prozent seines Kohle- und mehr als 30 Prozent seines Ölbedarfs. Während es in Deutschland strategische Ölreserven gibt, die per Gesetz für 90 Tage reichen müssen, gibt es eine solche Regelung bei Gas und Kohle nicht. Hier entscheiden Unternehmen über ihre eigenen Aktien.

Das will das Bundeswirtschaftsministerium schnellstmöglich ändern, vor allem beim Gas. Die Mindestfüllmenge in Lagern soll gesetzlich vorgeschrieben werden. So müsste jedes Lager Anfang Oktober zu mindestens 80 Prozent gefüllt sein, Anfang Dezember zu 90 Prozent und am Ende des Winters Anfang Februar zu mindestens 40 Prozent. Und so jedes Jahr

Das Gesetz soll voraussichtlich im Mai in Kraft treten. „Dies ist notwendig, damit das gesamte Sommerhalbjahr für die Lagerbefüllung zur Verfügung steht“, heißt es in einer Mitteilung des Wirtschaftsministeriums.

Was aber, wenn Moskau anordnet, die Energielieferungen zu begrenzen oder gar einzustellen? Spätestens im kommenden Herbst und Winter könnte dies zu gravierenden Engpässen führen.

Nach Informationen aus regierungsnahen Kreisen wird an Lösungen gearbeitet. In Krisenzeiten ist vieles denkbar, was sonst undenkbar wäre. Zum Beispiel, die nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima getroffene Entscheidung zum schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie zu ändern. Ende dieses Jahres sollen die letzten drei noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet werden.

„Alle Optionen müssen auf dem Tisch liegen“

Der schrittweise Ausstieg aus der Energiegewinnung aus Kohle war eigentlich beschlossene Sache. Im Koalitionsvertrag zwischen den regierenden Sozialdemokraten, den Grünen und den Liberalen heißt es, dass das im „Idealfall“ bis 2030 passieren könnte.

Angesichts der aktuellen Engpässe fordern die Wirtschaftsminister der deutschen Bundesländer nach einer Sondersitzung, die Möglichkeit einer Ausweitung des Betriebs von Kohleheizkraftwerken sowie Kernkraftwerken zu prüfen. „Alle Optionen müssen auf dem Tisch liegen“, sagte der Minister für Wirtschaft und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, Andreas Pinkwart.

Pinkwart ist ein liberaler Politiker. Die Stilllegung von Atomkraftwerken war dieser Partei schon immer ein Dorn im Auge. Es gibt auch regionale Interessen. In Nordrhein-Westfalen, dem größten Bundesland des Landes, gibt es eine Rekordzahl von 52 Kohlekraftwerken. Die westliche Provinz ist auch eine von vier mit großen Braunkohlevorkommen. Die Ministerpräsidenten dieser vier Provinzen stellen nun die beschleunigte Schließung von Wärmekraftwerken in Frage.

„Es gibt keine Tabus mehr im Denken“, sagte Wirtschaftsminister Robert Habek (Grüne). Seine Partei ist in eine Situation fast unlösbarer Interessenkonflikte geraten.

Als deutscher Minister steht für Habek die Aufrechterhaltung der Gasversorgung im Vordergrund. Andererseits ist der schrittweise Ausstieg aus der Kohle ein zentrales Thema seiner Grünen, und der Ausstieg aus der Atomenergie gehört seit ihrer Gründung zur politischen Identität der Partei.

Habek sagt, er werde sich „aus ideologischen Gründen“ nicht gegen die Verlängerung des Atomkraftwerksbetriebs stellen. Die Vorbereitungen zur Abschaltung von Kernkraftwerken sind jedoch so weit fortgeschritten, dass eine Fortsetzung ihrer Arbeit aus Sicherheitsgründen nicht möglich ist.

Nach Angaben des Betreibers wäre die schnelle Beschaffung geeigneter Brennstäbe technisch schwierig und es drohe ein Fachkräftemangel. Laut NRW-Wirtschaftsminister Pinkwart würde es anderthalb Jahre dauern, diese Probleme zu beseitigen. Das würde bis Ende 2023 bis Winter bedeuten.

Erneuerbare Energien garantieren Sicherheit

Um Russlands Energieversorgung kurzfristig zu ersetzen, erwägt das Wirtschaftsministerium, größere Mengen Gas aus anderen Ländern zu beziehen. Sie gelten als arabische Länder, sagte Minister Habek nach dem Treffen der EU-Energieminister in Brüssel. Katar verfügt nach Russland über die zweitgrößten Erdgasreserven der Welt. LNG, also Flüssiggas, wird aus den USA importiert.

Er kommt per Schiff, und Deutschland hat kein Terminal, um sie zu empfangen. Zwei sind an der Nordseeküste geplant. Aber der Prozess der Einholung aller Genehmigungen und Planungen kann zwischen zwei und fünf Jahren dauern.

LNG gilt als  schmutziges  Gas, weil es durch das umweltbelastende Fracking-Verfahren gewonnen wird. Es ist auch teurer als normales Erdgas. Doch auf dem Weg zur Klimaneutralität spielt Gas als Übergangsenergie bislang eine entscheidende Rolle. Moderne Gaskraftwerke stoßen weniger Kohlendioxid aus als Kohlekraftwerke.

Wirtschaftsminister Habek ist nun in die USA gereist, um nicht nur über LNG, sondern auch über Sanktionsfolgen, Sicherheitspolitik und Energiesicherheit zu diskutieren. Die Grünen sehen die Krise als Chance, die Verbreitung von  Ökostrom massiv voranzutreiben  .

Diese Frage scheint die Regierungskoalition bereits beantwortet zu haben. Auch der Vorsitzende der Liberalen Partei und Bundesfinanzminister Christian Lindner nennt die erneuerbaren Energien inzwischen „Energien der Freiheit“, Bundeskanzler Olaf Scholz hält sie für „entscheidend für unsere Sicherheit“.

Ein Gesetzespaket, das eine vollständige Versorgung mit Strom aus erneuerbaren Quellen bis 2035 ermöglicht, soll im Mai in Kraft treten. Das Gesetz will den Satz einbauen, dass es „im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient“.

Eine enorme Kapazitätserweiterung ist erforderlich. Bis 2030 soll die Windenergie ihre Leistung auf 110 Gigawatt verdoppeln und auf hoher See 30 Gigawatt erreichen. Es wird auch erwartet, dass sich die Solarenergie mehr als verdreifachen und eine Kapazität von 200 Gigawatt haben wird.

All das ist Zukunftsmusik, kostet viel und kann kurzfristig den Mangel an russischer Energie nicht kompensieren. Das geht nur, wenn man Gas kauft.

Sicher ist, dass die Energiepreise bei sinkendem Angebot weiter steigen werden. Um die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten, will die Bundesregierung die Umlage abschaffen, mit der Stromkäufer bislang den Ausbau der Erneuerbaren Energien finanzieren. Dadurch entsteht ein weiteres Loch im Staatshaushalt, der zunehmend unter Druck gerät. Ein Abschlag von 3,7 Cent pro Kilowattstunde bringt monatlich über eine Milliarde Euro weniger im Budget.

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